Rumänische Lyrik

ins Deutsche übertragen von Hellmut Seiler


Inhalt

Mircea Ciobanu
Dan Damaschin
Emilian Galaicu-Paun
Emil Hurezeanu
Cleopatra Lorintiu
Angela Marinescu
Rodica Draghincescu


Mircea Ciobanu 

 

Der Wind Ahab (Vîntul Ahab)

Ich war ein Dichter zu Ahabs Zeiten.
Der Wind ging darüber hinweg,
ich wurde älter und sprach immer weniger Worte.
Zwischen Dünen saß ich, schrieb auf den Sand
nur für den Wind, seine Sprache und seine Verwehung
die Zeichen nicht kennen. 

Der Wind hieß Ahab.
Ich saß zwischen Dünen, am Tor zu der Burg.
Tags am hellichten Mittag
tanzt auf den Zinnen ein Weib -
zwischen den Schenkeln die Schärpe
flattert, flattert wie eine schmächtige Schlange. 

Was danach geschah,
mein Herr, weiß ich nicht mehr.
Der Schlaf übermannte mich dort an den Mauern,
ich erinnere nichts mehr. 

Ich weiß, es ist kalt und ich war,
unter Ahab, schuldig des Hochmuts.
Von seinem Zorn, ach, sang ich nie,
von seiner Traurigkeit schrieb ich kein Wort. 

Herr, wie hieß sie,
die Tänzerin mit kupfernen Schenkeln
wenn Ahab der Wind hieß?
Wenn auf den Mauern das Weib der Menge den Atem
raubte? Was steht in den alten Schriften zu lesen? 

 

Gedicht aus einem einzigen Stein
(Poemul dintr-o singurá piatrá) 

Ja, er kommt nicht mehr, er verspätet sich.
So wie denn alles aufgeschoben wird,
versäumt auch er es, zu erscheinen.
Er will nicht vergehen; weiß, was es heißt, bis ans Ende
zu gehen.
Lieber tritt er durch die Tür einer Schenke ein,
trinkt schweigend, ißt, schläft ein, die Stirn auf dem Tisch.
Über die Maßen traurig hat er sich angewöhnt zu fragen: "Wo ist
das Haus
der sanftesten Frau?" So fragt er auch jetzt
und schläft im Sprechen ein
zwischen der ausgetrunkenen Flasche Wein
und dem Korb Brotes. Du erwartest ihn nicht mehr. 

Für ihn hättest du gewollt es zu erschaffen,
ein Gedicht aus einem einzigen Stein,
dichtem und jungem Stein.
Du tust es nicht - legst es auf ein Regal, heiligen Staubfällen
überlassen und gehst aus dem Zimmer. Draußen
empfangen dich heranstürmende Wolken, Wolken wie Vogelschwärme
scheuchen dich in eine Schenke.
Du trinkst dort ebenfalls, ißt auch,
kaufst von geborgtem Geld zottige Chrysanthemen,
große zottige Chrysanthemen,
während du einschläfst, und die Fensterläden
rasselnd fallen zwischen dich
und die alten Wolken da draußen. 

 

Die Chronik des Windes
(Cronica vîntului) 

Alles von gestern abend ist Wasser: das Baumblatt ist Wasser,
selbst die Erde schwillt an und fließt,
zu Tal, dem Wege nach; die Luft ist
entufertes Wasser:
bis gestern gab es nur Luft, heute
entufertes Wasser -
die Schleusen sind alle geborsten. 

Jener, der jetzt stöhnt
dessen Stöhnen verhallt ungehört.
Wie schrill kann dein Siegesschrei sein,
wie durchdringend
der Fausthieb auf den Tisch? 

Der große Sporn, die Straßen
fährt er entlang, mit einem Blitzen.
Die harten Wasser, die über uns niedergehen, verdecken seinen
klaren Laut.
Der Sporn dringt in die Rippe und wird nicht gehört.
Jener, der zusammenzuckt, dessen Rippe durchbohrt ist, hört ihn auch nicht.
Noch höre ich ihn, wie ich schwanke unter
den betäubenden Tonnen schwer. 

Ich sehe einen offnen Mund, hingegen;
ich sehe einen Sporn austreten aus der Wunde
des Allergerechtesten; ich sehe wie das Baumblatt die Unermeßlichkeit
der wieder entfesselten Wasser noch mehrt. 

 

Das Raubtier (Fiara) 

"Das alte Raubtier, wie ich sie einst nannte,
im Schlupfwinkel eines Gedichts,
das alte Raubtier, die Weinrebe, war brüllend auf den Mauern gewachsen,
hatte die Stadt überzogen.
Brüllend wachte sie morgens auf,
brüllend schlief sie ein,
ihre Eingeweide sog sie mit bitteren Laugen voll,
will sagen mit dem nächtlichen Schweiß
der schwarzen, rauhen Kalke.
Die Löwen, in den weiten Käfigen,
die Löwen im Park ächzten, wenn sie ihr Brüllen hörten,
das Fell auf ihren Rücken kräuselte sich wie Wasser,
über das der Wind streicht.
Niemand hat auch nur ein Wort ausgesprochen gegen
ihr Wachsen."  

Dieses diktiertest du
deinem Schreiber - während die Weinrebe sich
gerade an deinen Fenstern emporarbeitete.
Es war ihr ein Leichtes unter die Maisschuppen
der hohen Türme zu dringen,
Schiefer und Ziegel beiseitezuschieben,
ein Leichtes, bis zu den Dachrinnen deiner Häuser
zu klettern.
Schau, sie ist in die Fensterflügel vorgedrungen und während sie abwärts
kriecht, schlingt sie Gitter und dauerhafte Knoten -
das Fenster der Schreibstube
liegt unter einem dichteren Schatten jetzt als die Wolke gestern
abend. 

Der Schreiber mit versteinerter Hand verharrt er über
dem weißen Blatt. Du hast ihn gerufen
wegen der sogenannten Diktierten Chronik - und jetzt ist er im Dunkeln
geblieben. Du hast genug verwahrloste, dem Vergessen anheimgegebene
Fächer, kennst viele, irgendwo im Haus verborgene,
seit langem nicht durchstöberte Stellen,
denk nur an den Dachbalken, in Harz gehüllt -
überall hast du
Lampen mit versteinertem Öl im Innern.
Mach etwas Licht, wenigstens für den Schreiber. Er hört nicht
das Brüllen des Raubtiers,
das Krachen seiner Kiefer; er hört
nur deine Worte. Fahr fort wo du stehengblieben bist
und diktiere: "Draußen, da heißt das Licht
noch Licht. Der Mittag
hat seinen Namen nicht eingebüßt." 


Dan Damaschin 

 

Botschaft (Solie) 

Es schreibt meine Hand erschauernd vor dem Schrecken des Frostes
der das Erstarren bringt;
Die einzige Botschaft die aus einer entfernten Zukunft
zu mir dringt
Sind diese eisigen Windstöße die sogar meinen eigenen Dämon hindern
zur Besinnung zu kommen;
Besessen von der Vision einer Bibliothek die öde ist wie eine Höhle
vergessen seit Äonen,
Im Eis eingeschlossene Bände, die sich nicht mehr
öffnen lassen;
In denen die Worte der Dichter von den Gesetzen des Frostes gedemütigt
dastehen,
Im großen Winter der Welt, wenn nur der Tod, nachdem er seine Arbeit verrichtet,
noch Zeit hat zu lesen. 


Emilian Galaicu-Paun 

 

die auflösung des kadavers
(fragmente) 

"gesetzt den fall ich nähte sie kopf an kopf, meine geliebten, hätte ich auf der weißen bahn
ihres fleisches
aus dem gulag fliehen können"
flüsterte ich in einer winternacht in moskau - um mut zu fassen - ihr ins ohr, der nackten
transzendenz (gewiß, sie hatte auch einen weltlichen namen, doch gefiel es mir, im bett sie so
zu nennen). die natur
verlangte
nach transparenz und sex - wir hatten beides auch ohne unter der decke hervorzukriechen. ihre antwort kam alsbald: "gesetzt den fall ich knüpfte sie kopf an kopf, meine geliebten,
hätte das so entstandene elektrische feld ausgereicht, einen gulag zu umzäunen." wir übten
uns in nichts als literatur. wir
eli e-
li
minierten, befreiten uns von lektüre. solschenizyn, schalamow, rasgon usw. ich streichelte
ihren kal(l)igrafischen leib als folgte ich, wie er sich gabelt in kopulative und gefüge, einem
satz:
"er sah aus als hätte er das ganze leben die gefallenen vom schlachtfeld abgeschleppt, indem
er sie auf seinem schatten schleifte, aus
welchem grund er ständig en retard war um eine grammatische zeit, unerreicht
von ihm in qualität verwandelt." ich las zwischen den zeilen der "moskovskie novosti": der nackte könig stopfte die mäuler der wahrheitshungrigen mit erde. tbilisi, baku, jerewan. "ich
werde ein
kind
haben, aber mach dir keine sorgen", sagte sie mir eines tages. "wir werden haben", versuchte ich sie festzulegen.
die klammern
sind in meinen texten gleichzeitig mit dem sichtbarwerden ihrer schwangerschaft erschienen. der stil entstand durch die keineswegs zufällige begegnung auf einem operationstisch
zwischen einem schwarzen loch, das sich in zeitzonen öffnete wie ein herrenregenschirm und
einer näh-
maschine.
die sonnenochsen, allerdings, waren schon geschrieben...
als auf einmal du mir in meinem weg erschienest,
perestroika du!... (der rest ist literatur. die wand des kerkers von den "feinden des volkes" in
erwartung
ihrer hinrichtung vollgeschrieben - die fotografie ging um die welt - ist literatur: oben, die ersten sätze stellten, jeder für sich, die "geschichte des lebens" her, gleich einer d n s - doppelhelix. stalin hatte keine geduld. es folgten einfache aussagen des typs "ein mensch-ein satz" bis, einen meter tiefer, jemand
nur seinen namen
einritzte. dann eine lange litanei von namen, gefolgt, drei fingerbreit vom fußboden, nur noch von initialen. und niemand hat, niemals und unter keinen umständen, dieses ungeschriebene gesetz des kontextes übertreten. die lektion über den stil haben wir uns in all diesen jahren angeeignet.darum auch unterschreibe ich mit graffiti auf die mauer em g-p 


Emil Hurezeanu

 

* * * 

Du müßtest deinen Körper einstudieren
Von Anfang an, Zelle für Zelle
Wie die Wörter der Muttersprache.
Abends wenn du läufst durch grünes Gras
Daß du weißt, im Herz
Schreibt das Blut seinen Vers.
Die in Liebesnächten geöffneten Augen
Sind vom Wort losgelöste Bilder
Und nur der Kuß wird uns erlösen. 

* * * 

Das Lob der Unfähigkeit verstellt den Blick.
Gefährlich ist diese Stunde in der Natur:
Bei Florenz, zu Zeiten der Pest
Erzählte man sich von so vielen Frauen. 


Cleopatra Lorintiu

 

Die kurzen Jahre 

Die kurzen Jahre, sieh, haben sich bereits eingestellt.
Aufgereiht, für sie nur, die alten Bedeutungen.
Wieviel vergeudete Kraft.
Der Sinn den ich einbüßte,
der falsche, verlorengegangene Sinn.
die entkräftete Seele.
die Wirklichkeit, wie abartig.
die kompakte Kälte.
und das Gedächtnis in Fetzen.
aus einem zerschlissenen Kissen fliegen Federn. 

kaum tust du einen Schritt prallst du
gegen die Mauer die du nicht sahst.
streckst du die Hand aus ziehst du sie blutend zurück. 


Angela Marinescu

 

Die sonnenblume

Am tag an dem ich dich berührte (ich glaube es war frühling,
wie auch jetzt, wenn ich schreibe) hätte ich aufgeschrieen
hätte den verstand verloren
wäre das messer in meinem mund nicht gewesen.
am tag an dem du mich berührtest, träumte ich; daß ich keine KRAFT habe.
mit kalten schritten rötet die verzweiflung meinen weg. 

im schatten des baumes, gegen abend, kreist das licht eines einzigen wortes,
langsam, wie eine sonnenblume. 

die jetzt weggehen sind die ersten; in der kirche
die die ärmsten dichter gebaut haben. 


Rodica Draghincescu

 

Ich schreibe dir direkt auf die Erde

Ich bin nackt
schreibe mir/dir direkt auf die Erde
schreibe mir/dir in einem fort
(der Briefträger weigert sich die Hand auszustrecken
er kriecht an den Rand
schnüffelt)
es ist vielleicht die Einweisung in die physische Tiefe der Geste
verstärkt durch eine Finte des Körpers
der schon befühlt worden ist
und belehrt zu unterscheiden zwischen Gut und Böse
(er windet sich
und schlitzt sich das Hemd auf im Namen der Sache
dieses seltsamen nackten Körpers
dem ein dünner bläulicher Dunst
durch die Risse der Epidermis dringt
aus der Zeit noch als seine Tage
die Liebe im Schatten der Distanz erfunden hatten)
DIE GROSSEN LEUTE SIND SO KLEIN
IN DER MÜTTERLICHKEIT IHRES GENUSSES
ICH HABE IHNEN GENUG HERBEIGESCHLEPPT
HORMONE UND NERVEN
MANCHE SAGEN DASS ICH MIR DARUM
ALS DER KAISER DER EISENBAHNEN VORKOMME
ES GIBT NUR ZWEI
DER REST BERUHT AUF AKTENFÄLSCHUNG
(DIE DER NACHT HABEN WEISSE ZÜGE
UND SIE FAHREN ZURÜCK
DIE GRÜNEN GIBT ES NUR IN DEN KÖPFEN DER REISENDEN
ALS EINE ART KLEEBLATT IN DER MITTE DES GEHIRNS
UNTER DEM DAS HAUPTGERÄUSCH
SEINEM NÄCHSTEN DEN GARAUS MACHT)
DORT OBEN MUSS DIE FARBE AUSGESPROCHEN WERDEN
SONST GEHT SIE VERLOREN
IN DER PHYSISCHEN TIEFE EINER BLICK-GESTE
wer fragt antwortet
wer antwortet fragt wieder
WARUM VERBRENNST DU DEINE BILDER SPIEGLEIN
BEVOR ES NÖTIG IST
SCHREIBEN SIE NICHT MEHR MADAME
(ein letztes Verständnis der Liebe)
ICH KANN DIE ERDE NICHT
ZUM EMPFÄNGER SCHLEPPEN
(WELCHER EMPFÄNGER SIE ÜBERHAUPT NICHT VERDIENT
ER NIMMT SEIN MITTAGSMAHL IN EINEM WANDERZIRKUS EIN)

Ich setze mich auf die Eisenbahnlinie
lege mir die Briefe unter den Kopf
im Namen des Vaters habe ich das Radio eingeschaltet gelassen
das Telefon den Fernseher die Stimmen der feindlichen Freunde
im Namen des Sohnes habe ich meine Fotografien von Unkraut befreit
im Namen des Heiligen habe ich mich mit den Dingen eingelassen
bis ihre Flammen sich in Hirsche verwandelten
NEIN antwortete ich
auf den Gruß des ersten Verkäufer-Fotografen
NEIN
der zweite stößt den ersten
NEEIIIIN
viele Vokale wie am Besuchs- oder Lohntag
(versieht der Briefträger seinen Dienst? der Briefträger betrachtet die Weichen)
EIN EINFACHES EISENBAHNUNGLÜCK
(er begießt die Briefe wie einen Setzling
fasst sich an die Schläfen)
DER EMPFÄNGER IST? BIN ICH!
antworte ich ihm mit Nachdruck
SIE? SIE FÜRCHTEN SICH VOR SICH?
SCHREIBEN SIE NICHT MEHR MADAME
FAST ALLE HALTEN SICH FÜR EMPFÄNGER
DORT UNTEN ZERMALMT DIE LIEBE
SIE IST EINE TATSACHENFÄLSCHUNG EIN KÖRPER ZUVIEL
DIE DER NACHT HABEN VORRANG
UND ZAHLEN TRIBUT AN JENE DES TAGES
DIE WIRKLICHEN GIBT ES NUR
AUF DEN SPUREN DES ZUGES
DEN SIE SICH SEIT 30 JAHREN QUÄLEN HINUNTERZUSCHLINGEN
SCHREIBEN SIE NICHT MEHR MADAME
SIE WERDEN SICH NOCH ERKÄLTEN

 

ich bin lieb nützlich und schön

heute ist montag
wenn ich einen halben tag schrei
wird's dienstag bald
der dienstag ist sinnlos
wie ein verheirateter geliebter
mit zwei kindern für den
der morgen die jahreszeit der verwirrung ist
weil er aus richtung frau kommt
(jenem physischen beweglichen und heißen körper)
zwischen gut und böse gestrandet
wo es nacht von großem kaliber wird
wo auf natürlichem weg empfunden wird
schau mittwoch was die wirklichkeit tut:
ich nehme meinen kopf in die hände
werfe ihn hoch wie eine brezel
(der ablauf der bewegung kann mit dem forzeps wiedergegeben werden)
der donnerstag ist eher dazu da
die sperma-ebbe zu empfangen (dem poster ist es ohne sich zu bewegen gelungen aus amerika)
GUTEN ABEND MEIN HERR SEIEN SIE SO GUT
WIEDERZUKOMMEN vor freitag
ist auch freitag 85% ende 15% beginn
(die uhr ist stehengeblieben)
samstags bin ich durchsichtig
(die eingeweide scheinen eine art u-bahn durch
die mannequins mit lockenwicklern auf dem kopf
umherziehen)
CHAMPAGNER FÜR DIE MÄDCHEN MIT PERSONALAUSWEIS
FÜR JENE OHNE - MILCHÜBUNGEN
geliebter was suchst du im linken lungenflügel
steig hernieder in meinen schoß da kannst du
schlafen/träumen soviel du willst bis zum regeltag ist's noch lang ich verrate dich
nicht der anderen denn sonntags
bin ich lieb nützlich
           und schön


Alle deutschen Übersetzungen Copyright © Hellmut Seiler 2000. Quellenverweis: Mit Ausnahme der Gedichte von R. Draghincescu erschienen diese Übersetzungen in Gefährliche Serpentinen, Hrsg.: Dieter Schlesak, Verlag Druckhaus, Berlin 1999.

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